Grundsätze
Um beim Einsatz von Wildpflanzen die regionaltypische Arten- und genetische Vielfalt zu erhalten und zu fördern, sind fünf Grundsätze zu berücksichtigen:
- Verbreitungsgebiete von Wildpflanzen respektieren.
- Herkünfte aus ökologisch einheitlichen Regionen verwenden.
- Vielfältige Herkünfte verwenden.
- Populationsgrössen berücksichtigen.
- Rückverfolgbarkeit gewährleisten.
Die allgemeinen Grundsätze basieren auf floristisch-ökologischen sowie genetischen Erkenntnissen und sind darauf ausgerichtet, die Biodiversität in all ihren Dimensionen – Lebensräume, Arten und Gene – zu fördern, mit einem besonderen Augenmerk auf die oft vernachlässigte genetische Vielfalt.
Diese Grundsätze wurden in einem WSL-Merkblatt für die Praxis aufbereitet (Holderegger 2024). Nachfolgend werden diese Grundsätze mit den Gesetzesgrundlagen und weiteren naturschutzfachlichen Empfehlungen ergänzt (InfoFlora 2017; Bosshard et al. 2015; SKEW 2009). Auch die aktuelle wissenschaftliche Literatur sowie internationale Standards und Richtlinien wurden berücksichtigt.
1. Verbreitungsgebiete von Wildpflanzen respektieren
- Die natürlichen Verbreitungsgebiete von Wildpflanzen sind zu respektieren.
→ Als Grundlage dienen die Verbreitungskarten von InfoFlora.
❗ Achtung: Seltene und gefährdete Arten sind nur in Absprache mit der Artenförderung auf kantonaler Ebene zu verwenden (Art. 20 und 22 NHG).
❗ Achtung: Der Einsatz von standortfremden Pflanzen ausserhalb von Gärten, Parkanlagen sowie der Forst- und Landwirtschaft ist bewilligungspflichtig (Art. 23 NHG). - Die Verbreitung von Wildpflanzen zu respektieren bedeutet auch, auf die Verwendung von Neophyten zu verzichten.
❗ Achtung: Der Umgang und Vertrieb von Pflanzen aus Anhang 2.1 und 2.2 der Freisetzungsverordnung ist verboten (Art. 15 FrSV). - Auch Zuchtformen von Wildpflanzen sind nicht für den Einsatz in naturnahen Lebensräumen geeignet.
2. Herkünfte aus ökologisch einheitlichen Regionen verwenden
- Herkünfte von Wildpflanzen sind innerhalb ökologisch einheitlicher Regionen (seed transfer zones) zu verwenden.
→ Als Grundlage gilt die Einteilung der Schweiz in 12 biogeografische Regionen (BAFU 2022).
❗ Achtung: In Grenzgebieten sind die Grenzen der biogeografischen Regionen nicht als starre Linien zu verstehen. Es ist das Prinzip „lokal ist am besten" anzuwenden. - Herkünfte sind auf der gleichen Höhenstufe zu verwenden.
→ Richtwert: Abweichung von nicht mehr als 300 Höhenmetern.
→ Es sind mindestens die Vegetationshöhenstufen kollin, montan, subalpin und alpin einzuhalten. - Die Abgrenzung von Regionen und Höhenstufen für die Herkunft und Ausbringung von Wildpflanzen (seed transfer zones) kann aufgrund artspezifischer Kenntnisse angepasst werden.
→ Für einzelne Arten kann auch eine Einteilung in 6 biogeografische Regionen ausreichend sein; z.B. bei häufigen und regelmässig verbreiteten Arten mit Ausbreitungs- oder Bestäubungsmechanismen, die auf einen starken und weitreichenden genetischen Austausch hinweisen.
ℹ️ Grüne Liste von InfoFlora
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3. Vielfältige Herkünfte verwenden
- Zur Gewinnung von Saat-, Pflanz- und Schnittgut sind vielfältige Ursprungspopulationen zu verwenden.
→ Flächen mit Einsaaten sind zu vermeiden. - Innerhalb der Biogeografischen Regionen sollen Herkünfte kombiniert werden, um lokale Anpassung, genetische Vielfalt und zukünftiges Anpassungspotenzial gleichermassen zu gewährleisten.
→ Die Herkünfte sind getrennt zu halten und erst bei der Ausbringung zu mischen.
→ Insbesondere bei kleinen Ursprungspopulationen sind unterschiedliche Herkünfte zu kombinieren. - Die Vielfalt an Methoden zur Gewinnung von Saat-, Pflanz- und Schnittgut trägt zur Vielfalt des Ursprungsmaterials bei und soll gefördert werden.
4. Populationsgrössen berücksichtigen
- Für den Fortbestand von Populationen sind aus genetisch-theoretischer Sicht kurzfristig mindestens 50 und langfristig mindestens 500 Individuen erforderlich (50/500-Regel), damit einerseits keine Inzuchteffekte auftreten und andererseits die Anpassungsfähigkeit erhalten bleibt.
→ In der Praxis sollen möglichst Ursprungspopulationen mit mehr als 500 Individuen verwendet werden.
→ Bei kleineren Ursprungspopulationen sind mehrere Populationen zu verwenden. - Ursprungspopulationen dürfen nicht durch die Sammlung oder Nutzung gefährdet werden.
5. Rückverfolgbarkeit gewährleisten
- Die Herkunft von Saat-, Pflanz-, und Schnittgut muss jederzeit ersichtlich und rückverfolgbar sein, um fundierte Entscheidungen bei der Ausbringung von Wildpflanzen treffen zu können.